Lydia, die Purpurhändlerin, lebt Glauben und Freiheit

Predigtreihe «Freiheit», Predigt zu Apostelgeschichte 16,13-15 von Pfarrerin Ruth Oppliger

Die Predigtreihe dieses Sommers steht unter dem Titel «Freiheit». Dieses Thema steht im Zusammenhang mit dem 750-Jahr Jubiläum der Handfeste, das wir in diesem Jahr in Burgdorf feiern. Mit dem Begriff «Handfeste» wird ein Freiheitsbrief aus dem Jahr 1273 bezeichnet. Darin werden Rechte und Pflichten zwischen dem kyburgischen Herrscherhaus und der Stadt geregelt. Der Stadt werden mehr Freiheiten zugesichert. Dies führte zu Wachstum und zur Weiterentwicklung des Bürgertums.

«Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes». Das sind die Anfangsworte der Handfeste, die im Urtext in Latein verfasst wurde. Damit wird klar ausgedrückt, dass sich sowohl die Herrschaft, wie die Bürger im Brief unter der Autorität und dem Schutz Gottes stehen. Die 3 Pergamentseiten der Urkunde werden von einer purpurroten Schnur, die am Siegel befestigt ist, zusammengehalten.

Heute, am 2. Sonntag der Predigtreihe zur Freiheit, beschäftigen wir uns mit dem Handel und dem Marktrecht. Wir schauen dabei auf eine kurze Erzählung aus dem Neuen Testament, die von einer Händlerin aus biblischer Zeit berichtet: «Lydia, die Purpurhändlerin, lebt Glauben und Freiheit.»

Freiheit und Handel im Mittelalter

Das Hochmittelalter war eine Zeit des Aufbruchs. Es fand ein grosses Bevölkerungswachstum statt, so auch in Burgdorf. Die ursprünglich kleine Siedlung rund ums Schloss wurde zunehmend grösser. Damit wuchs auch das Bedürfnis nach Gütern. Die Stadt entwickelte sich zu einem wichtigen Marktort. Die Bürger hatten schon in den vergangenen Jahren zunehmend gewisse Rechte und Freiheiten erworben. Im Freiheitsbrief von 1273 hat das gräfliche Paar Anna von Kyburg und Eberhard von Habsburg frühere Zugeständnisse bestätigt und erweitert.

Ein zentraler Inhalt der Handfeste von 1273 ist die Regelung des Marktrechtes. Dieses hatte eine grosse Bedeutung im Zusammenhang mit der wachsenden Unabhängigkeit der Bevölkerung. Zunehmend haben die Bürger die Freiheit erlangt, zu kaufen und zu verkaufen. Sie durften das Erworbene behalten, ohne Abgaben leisten zu müsse. Damit konnte Besitz vererbt werden. Auf dem Land blieben die Menschen noch viel länger von Dienstherren abhängig, denen sie hohe Zahlungen leisten mussten.

Frieden und Freiheit wurde in der Stadt auch den Marktgängern gewährt, denjenigen, die kaufen und verkaufen wollten. Es galt der Marktfrieden, was bedeutete, dass sich die Leute auf dem Markt friedlich verhalten mussten, sonst wurde ihnen für eine bestimmte Zeit der Zugang verboten.

Frauen im Mittelalter

Die Bürger der Stadt haben mehr und mehr Freiheiten erlangt. Was hat dies für die Frauen bedeutet? Über die Rechte explizit der Frauen erfahren wir in der Handfeste nur wenig:
-Bürgerinnen von Burgdorf wurden die Frauen meistens durch Heirat. Aber auch Alleinstehende konnten das Bürgerinnenrecht erlangen. Voraussetzung dafür war für Männer und Frauen ein 1-jähriger Aufenthalt in der Stadt und ein geleisteter Eid.
-Frauen durften gemäss Recht kein eigenes Geld besitzen, ausser sie waren Krämerinnen. Damit stand ihnen durch den Handel auf dem Markt eine grössere Eigenständigkeit zu. Sie handelten mit vielen unterschiedlichen Waren, mit Lebensmitteln und häufig mit Stoffen.
-In der Handfeste ist noch ein bemerkenswertes Detail vermerkt. Frauen durften ihr Kleid als Almosen für Arme spenden, ohne ihren Mann zu fragen…

Es lässt sich zu den Rechten der Frauen zu dieser Zeit um 1300, hier in unserer Gegend, wenig in Erfahrung bringen. Aber ich habe in einem Blog einen interessanten Beitrag einer deutschen Historikerin gefunden: «Die Frau im (späten) Mittelalter: Von Irrtümern, Falschmeldungen und Missverständnissen», von Petra Schier.

Was sie z.B. über ihre Stadt Köln erforscht hat, dürfte im Wesentlichen auch auf die Situation bei uns übertragbar sein. Sie widerlegt und hinterfragt ein paar Vorurteile über Frauen im Mittelalter und überhaupt. Zuerst einmal stellt Petra Schier fest, dass es DAS Mittelalter nicht gibt. Die lange Zeitspanne von 1000 Jahren ist nicht als homogene Einheit zu verstehen. Grundsätzlich gilt, dass während der Jahrhunderte des Mittelalters Königreiche und Herrscher zunehmend an Macht verloren, während das Bürgertum und die Handwerkerschaft an Einfluss gewannen, vor allem in den Städten. Dazu gibt es nicht DIE Frau des Mittelalters, stellt Petra Schier fest. Je nach Zeit, Ort und Stand war die Situation der Frauen völlig unterschiedlich. Ob sie eine leibeigene Bäuerin war, eine Äbtissin, eine Ehefrau, Tochter von Patriziern, Händlerin oder Hebamme, das macht doch einen entscheidenden Unterschied.

Petra Schier stellt ein paar Missverständnisse ins rechte Licht:
-Frauen hatten durchaus auch im Mittelalter Rechte! Natürlich waren die Frauen rechtlich abhängig und standen unter der Aufsicht eines männlichen Familienmitgliedes: Vater, Bruder, Ehemann. Wie lange stand in unserer CH Bundesverfassung noch, dass der Mann das Oberhaupt der Familie sei? In der Realität und im Alltag hatten die Frauen im Mittelalter schon Rechte.
-Frauen hatten einen Beruf! Frauen hatten im Mittelalter das Recht, einen Beruf zu erlernen und auszuüben. Im Handwerk, das Wolle und Tuch herstellte, waren Frauen führend, -als Weberinnen, Spinnerinnen und Händlerinnen. In Köln hatten Seidenweberinnen eine eigene Zunft, mit eigenem Siegel. Darin waren nur Frauen zugelassen. Es wurden weitere Berufe ausgeübt: es gab gebildete Nonnen, Äbtissinnen, Hebammen.
-Frauen konnten lesen und schreiben! Natürlich waren in der Zeit des Mittelalters viele Menschen Analphabeten, das galt aber ebenso für die Männer. Doch mit dem Erstarken des Bürgertums und des Handels wurde die Fähigkeit immer wichtiger, Briefe lesen zu können, Urkunden und Rechnungen zu verstehen. Auch wenn die Frau nicht selbständig handelte, so war sie meistens im Betrieb ihres Mannes tätig. Sie musste ihn in allen Belangen vertreten können, wenn er auf Reisen war, im Krieg, oder wenn er verstarb. Dass sie dazu in der Lage war, zeigt aber auch, dass sie in allen Belangen mitwirkte.
-Frauen hatten eigenen Besitz! Frauen waren in Berufen tätig, sie haben gehandelt, Geld verdient und über eigenen Besitz verfügt. Frauen haben auch geerbt, von ihren Familien, von Ehemännern. Sie wurden abgesichert durch Wohnrechte und Renten. Frauen konnten ihren Besitz vererben. Eigenständig konnten sie das Recht als Bürgerin erwerben.

Lydia lebt Glauben und Freiheit

Schauen wir auf die Geschichte einer Frau, die vor 2000 Jahren gelebt und gewirkt hat. Die Geschichte von Lydia ist im Neuen Testament, in der Apostelgeschichte, aufgeschrieben:

«Paulus und seine Leute hielten sich in Philippi auf… Sie gingen am Sabbattage zum Tor hinaus zum Fluss, wo sich eine jüdische Gebetsstätte befand. Und sie setzten sich zu den Frauen, die dort versammelt waren und redeten mit ihnen. Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu. Und Gott tat ihr das Herz auf, dass sie auf das achtete, was Paulus redete. Sie liess sich samt ihrem Haus taufen. Lydia drängte Paulus und seine Leute in ihr Haus zu kommen und zu bleiben.»

Schon in der Antike war es möglich, dass Frauen selbstbestimmt und unabhängig gelebt haben.

Lydia lebt Glauben: Der Name Lydia bedeutet Frau aus Lydien. Sie stammt aus der Stadt Thyatira, die in der heutigen Türkei liegt. Als Ausländerin lebt sie in Philippi, das damals eine römische Kolonie war. Philippi liegt im östlichen Mazedonien, in Griechenland. In Philippi gab es eine kleine jüdische Gemeinde. Lydia interessiert sich für den jüdischen Glauben und befasst sich mit ihm. Sie wird als Gottesfürchtige bezeichnet. Sie ist gebildet und legt die Schriften des Alten Testaments selbst aus. Offensichtlich leitet sie eine Gruppe, die sich regelmässig trifft, um religiöse Fragen zu diskutieren und um gemeinsam zu beten.

Während einer Versammlung kommt der Apostel Paulus mit seinen Begleitern dazu. Paulus ist auf seinen Missionsreisen unterwegs, um Menschen ausserhalb des Landes Israel zum Glauben an Jesus Christus zu führen. Lydia bekennt sich zu Christus, als den Sohn Gottes. Samt ihrem Haus lässt sie sich von Paulus taufen. So wird sie zur ersten Christin in Europa. In der Werkstatt der Purpurfrauen wächst eine junge christliche Gemeinde heran. Lydia lädt Paulus und seine Leute als Gäste in ihr Haus ein. Die Gemeinschaft im Haus Lydias bedeutet für alle Sicherheit und Schutz, wurden doch die ersten christlichen Gemeinden verfolgt. Sie wurden als gefährliche Sekte angeschaut, die eine Gefahr für den römischen Kaiser darstellten.

Lydia lebt Freiheit: Lydia treibt Handel. Sie verdient ihren Lebensunterhalt selbst, das gibt ihr Freiheit. Sie besitzt ein Haus, dort lebt und arbeitet sie, zusammen mit anderen Frauen. Das Haus ist ein Ort der Gastfreundschaft und zugleich Werkstatt. Lydia ist Purpurhändlerin. Aus ihrer alten Heimat hat sie das Wissen über die Herstellung und Verarbeitung von Purpur mitgebracht. Dieses Handwerk hatte in der Antike eine grosse Wichtigkeit. Vielfältige Kenntnis ist dafür notwendig. Mit der gewonnenen Farbe wurden Garne und Stoffe gefärbt und verarbeitet. Bestimmter Purpur hatte mehr Wert als Gold. Der kostbarste Purpur wurde aus einem Sekret von Schnecken gewonnen. Textilien, die mit diesem Purpur behandelt worden waren, blieben den höchsten Würdenträgern vorbehalten, dem römischen Kaiser, Königinnen und Geistlichen. Daneben gab es auch zahlbaren Purpur. Dieser wurde aus Pflanzen gemischt. Diese Purpurstoffe waren auch den einfacheren Leuten zugänglich.


Lydia glaubt. Sie weiss sich von Gott begleitet. Das gibt ihr im 1. Jhdt nach Christus alle Rechte und Freiheiten. So steht es in der Bibel, es ist die Botschaft von Jesus Christus, dass alle Menschen frei und gleich sind.

Im Freiheitsbrief von 1273 werden den Bürgern und Bürgerinnen von Burgdorf von der weltlichen, kyburgischen Herrschaft zusätzliche Freiheiten zugestanden. Das bedeutet einen Schritt in Richtung moderner Gesellschaft, wenn auch nur einen kleinen. Trotz der Berufung auf den dreieinigen Gott sind die Menschen noch lange nicht gleich und frei.

Und wir, wie frei sind wir? Frei ist nicht gleich frei und Freiheit können noch längst nicht alle leben. Purpur ist nicht gleich Purpur. Die Farbe, die sich zwischen blauem Rot und rotem Blau bewegt, zeigt viele Nuancen und Schattierungen. Diese kostbare Farbe soll sinnbildlich dafür stehen, dass wir uns aufgrund des Glaubens für die Freiheit von allen einsetzen.